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Irma Krauß - Freie Autorin vorwiegend im Bereich Kinder- und Jugendbücher
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Wir sind die Klasse 1




Irma Krauß

Babyleicht


Maximilian hat einen großen Bruder, der schon ins Gymnasium geht und alle Tage Hausaufgaben macht, bis ihm der Kopf raucht. Den Rauch hat Maximilian zwar noch nicht gesehen. Aber dass Elmar an seinem Schreibtisch sitzt und arbeitet und stöhnt, das sieht er wohl und deshalb weiß Maximilian, was Schule ist. Schule ist, wo man ganz schwere Sachen aufkriegt.
Davon ist an seinem ersten Schultag nichts zu merken.
„Wo bleiben die schweren Sachen?“, fragt Maximilian. Er hat jetzt lange genug gewartet, und alles ist immer nur ganz leicht gewesen.
„Was meinst du denn damit, Maxi?“, will die Lehrerin wissen.
Die Lehrerin heißt Frau Biber, und wenn sie noch einmal Maxi sagt, muss Maximilian sich überlegen, ob er sie nicht Frau Bibi nennt. Aber das ist wahrscheinlich frech, Elmar hat für’s Frechsein schon mal am Nachmittag in der Schule bleiben müssen, und das will Maximilian nicht. Nicht in dieser Schule. Er zeigt vorwurfsvoll auf sein Namensschild.
„Ach so, du bestehst ja auf deinem langen Namen“, sagt Frau Biber. „Aber was für schwere Sachen meinst du denn, Maximilian?“
„Die von der richtigen Schule“, sagt Maximilian. „Wo einem der Kopf raucht!“
„Die kriegst du noch früh genug!“, lacht Frau Biber. Dann führt sie Julias Hand. „So herum, Julia. Dein Kreis ist wunderschön geworden, aber er geht so herum, siehst du. Das wird nämlich einmal ein – wer weiß, welcher Buchstabe das wird?“
„Ein O!“, stöhnt Maximilian. Denn sie haben doch längst lauter Wörter mit O gefunden. Oma, Hose, Dose, groß ...
Dabei hat der erste Schultag prima angefangen. Als Erstes wurden die Mamas und Papas weggeschickt, denn logisch, was sollen die in der Schule. Als Zweites hat Frau Biber ihre Gitarre genommen und ein Lied gesungen, das war cool, denn das Lied hieß „Hurra, ich bin ein Schulkind und nicht mehr klein“ und man hat es laut schmettern dürfen.
Aber dann! Man musste ins Buchstabenland schleichen, geduckt um die Tische herum, und Maximilian kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Elmar in der Schule geduckt herumschleicht, nur um dann vor der Tafel zu landen, auf der alle Buchstaben stehen!
Die Tafel ist das Buchstabenland, hat Frau Biber gesagt, und wer einen Buchstaben erkennt, darf ihn zeigen. Sophie hat das S erkannt, weil ihr Name mit S anfängt, Kevin hat auf das K gezeigt und Maximilian auf das M. Das war babyleicht. Weil sie ja schon im Kindergarten gelernt haben, ihre Namen zu schreiben.
Anstatt ihnen jetzt die anderen Buchstaben beizubringen, hat Frau Biber geheimnisvoll von der Schulkatze erzählt, die sich irgendwo im Klassenzimmer versteckt hat.
„Ich bin allergisch“, hat Jens gleich geheult.
„Das macht bei unserer Miezekatze nichts“, hat Frau Biber ihn beruhigt. Sie hat von hinter der Tafel eine Pappkatze hervorgezaubert. Viel Zauberei kann das aber nicht gewesen sein, denn Frau Biber hat den Reißnagel in der Hand gehabt, mit dem die Katze vorher festgemacht war.
Die Schulkatze hängt jetzt an der Tafel und hat einen runden Kopf, einen runden Bauch und oben zwei spitze Ohren. Und alle Kinder malen den runden Kopf, den runden Bauch und die zwei spitzen Ohren. Sie malen in der Luft, auf dem Tisch, auf dem Boden und sagen dazu:
„Ritze, ratze,
ritze, ratze,
fertig ist die
Miezekatze.“
Wenn das schwer sein soll ...
Außer vielleicht für Julia, die die Kreise immer verkehrt herum macht.
Doch nun hat Frau Biber endlich genug von der Miezekatze. Sie nimmt eine Trommel in die Hand. Man soll die Augen zumachen und genau horchen, wie oft sie auf die Trommel klopft. Hinterher darf man es dann sagen. Maximilian passt auf und zählt mit. Das ist ja wieder babyleicht! Denn Frau Biber klopft überhaupt nicht oft, bei Acht sagt sie schon, dass man jetzt aber ganz gut hinhören muss, bei Fünfzehn kriegt sie sich nicht mehr, und bei Einundzwanzig fällt sie fast in Ohnmacht. Denn das ist eine Zahl, die es in der ersten Klasse noch gar nicht gibt, sagt sie, und sie guckt erschrocken zur Tür, ob nicht zufällig jemand hereinkommt und merkt, dass sie etwas Verbotenes tut.
Einundzwanzig, pah. Wenn Maximilian mit Papa und Mama und Elmar auf der Autobahn fährt, zählt er die Laster, die sie überholen, er zählt, bis Elmar sagt, man soll Maximilian auf einem Parkplatz verlieren und Mama schreit, wenn das Zählen nicht aufhört, überholt sie keinen einzigen Laster mehr. Sitzt Papa am Steuer, so grinst er in den Rückspiegel und sagt, Maximilian soll alle Autos auf der Gegenfahrbahn zählen.
Einundzwanzig, pah.
Maximilian hofft jetzt auf die Pause. In der Pause kann man Dampf ablassen und Karten spielen und Hausaufgaben abschreiben. Die Karten hat Maximilian schon in seiner Schultüte gefunden, und um den Dampf muss er sich auch keine Sorgen machen, denn beim Rennen schwitzt keiner schlimmer als er. Sagt Mama. Das Abschreiben der Hausaufgaben kann leider erst morgen sein, logisch.
Doch Frau Biber hat sich das alles anders gedacht. Weil die Schule heute nicht so lange dauert und die Eltern vielleicht schon draußen warten, gibt es gar keine richtige Pause. Man darf die Schultüte noch einmal aufmachen, wie ganz am Anfang, und darf sich etwas Leckeres herausholen und es aufessen.
Maximilian isst einen Schokoriegel.
Frau Biber geht herum und sagt, man soll aufpassen, dass man bei den vielen Sachen nicht aus Versehen etwas Fremdes einpackt. Als alle Kinder fertig sind, holt sie noch einmal die Gitarre.
„Hurra, ich bin ein Schulkind und nicht mehr klein“, singt sie. „Jetzt ihr!“
Während des Singens macht sie die Tür auf und winkt die Eltern herein.
Danach geht alles ziemlich schnell. Auf Maximilians Uhr ist es noch nicht einmal elf, und Frau Biber sagt schon, sie dürfen jetzt nach Hause gehen, die Schule ist aus.
Maximilian ruft empört: „Und die Hausaufgaben? Wo bleiben die Hausaufgaben?“
Die Eltern lachen und Frau Biber lacht, Papa wuschelt Maximilian durch die Haare, und auch die Kinder werden vom Gelächter angesteckt, dabei wissen die bestimmt ebenso wenig wie Maximilian, was daran zum Lachen sein soll.
Maximilian schüttelt Papas Hand ab. „Was soll denn das für eine Schule sein?“, zischt er ihm zu. „Alles babyleicht und keine Pause und keine Hausaufgaben!“ Er reißt seine Schultüte vom Tisch und marschiert zur Tür.
„Halt, Maximilian, warte! Wir haben uns doch noch gar nicht verabschiedet“, ruft Frau Biber.
Das kann sie haben. Maximilian geht zurück und streckt Frau Biber die Hand hin. „Tschüs“, sagt er.
Frau Biber nimmt lachend seine Hand. „Auf Wiedersehen, Maximilian! Wir sagen alle gemeinsam auf Wiedersehen, du musst dich nicht eigens von mir verabschieden.“
„Doch“, sagt Maximilian. „Weil ich nicht mehr wiederkomme. Morgen geh ich ins Gymnasium!“

 




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