Interviews



01  Wer bist du und welche Art von Büchern schreibst du?
Gespräch mit Angelika Mandryk von Literatopia

02  Beschreiben Sie uns Ihren Weg zur ersten Veröffentlichung!
Gespräch mit Franziska Huhnke, die unter dem Namen BÜCHERCHAOS einen Bücherblog führt


03  Warum vermitteln Sie Wissen in Romanform?
Judith Bauer, Lehramtsstudentin aus Weingarten, fragt für ihre Abschlussarbeit "Literatur und Natur - das Werk der Irma Krauß in der Sekundarstufe 1"

04  Was macht Ihnen Freude?
Zwanzig Fragen von Siegfried Rupprecht für die Wertinger Stadtzeitung

05  Welche "Bühne" braucht Literatur, um zu begeistern?
Fragen von Thalia an Autoren, die auf der lit.COLOGNE aufttreten,
und Antworten von Irma Krauß

06 Aufzeichnung eines Gesprächs auf der Frankfurter Buchmesse 1999. Redaktion Sylvia Schwab, DeutschlandRadio.

 



01  Wer bist du und welche Art von Büchern schreibst du?
Gespräch mit Angelika Mandryk von Literatopia



Literatopia: Hallo Irma, danke, dass Du Dir die Zeit nimmst, uns ein paar Fragen zu beantworten. Erzähl uns doch zu Beginn ein bisschen mehr über Dich: Wer bist Du und welche Art von Büchern schreibst Du?

IK: Wer ich bin? Das ist schon gleich die schwerste Frage – ich verbringe mein Leben auf der Suche nach der Antwort! Eine Teilantwort mögen meine Bücher geben, es sind Bücher, die Geschichten von Menschen erzählen, die ebenfalls auf der Suche nach ihrer Identität sind, ohne dass ihnen das unbedingt bewusst wäre. Ich erzähle ganz einfach: LEBEN. Das mache ich in Romanen und Kurzgeschichten.
 
Literatopia: Im April erschien Dein neuer Jugendroman „Ein Versteck im Himmel“ im cbj Verlag. Im Mittelpunkt der Handlung: Jascha Rosen, der von seinem Bruder getrennt wird und als Judenjunge beinahe allein gegen alle steht. Magst Du uns vielleicht ein bisschen mehr darüber erzählen?
 
IK: Wenn ich sagte, ich erzähle LEBEN, so trifft das für dieses Buch besonders zu. Konkret geht es um ÜBERLEBEN. Wir alle wissen um den Holocaust; so viel Leid und Verzweiflung und Todesnot in Einzelschicksalen – das mag und kann sich keiner vorstellen. „Ein Versteck im Himmel“ erzählt die Geschichte eines Jungen, der tatsächlich überlebt, dank der Bereitschaft eines einfachen Mannes, eines Türmers, sein eigenes Leben zu riskieren. Wenn Völkermord zu den schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte zählt, so zählt die Tat des Türmers aber auch mit zum Besten, wozu Menschen fähig sind.
 
Literatopia: Der einarmige Türmer und Jascha sind ein wirklich tolles Gespann. Wie leicht oder schwer ist es Dir gelungen, eine solch geglückte Mischung zu finden? Welchen der Beiden hast Du im Verlauf der Geschichte besonders in Herz geschlossen und warum?
 
IK: Meine Romane fallen durch eine geringe Anzahl von Protagonisten auf. Dafür ist aber auch jede Figur authentisch, in jeder stecke ich während des Schreibens, und zwar mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft. Meine Protagonisten handeln nicht beliebig, erzwungen oder gekünstelt, sondern genau wie es ihrer Art entspricht. Ich werde praktisch von ihnen beim Schreiben geführt, manchmal korrigiert, manchmal überrascht, manchmal enttäuscht … Das ist eines der großen Geheimnisse des Schreibens: Während die Figuren entstehen, scheinen sie schon da gewesen zu sein. Irgendwie sind sie das vielleicht auch. Und jetzt komme ich zum einarmigen Türmer. Es hat ihn nie gegeben, aber seit es ihn gibt, war er für mich schon immer da. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, in einfachen Verhältnissen, ich kenne einfache Menschen. Wie sie denken, wie sie reden, wie sie handeln oder sich verweigern können. Ein solcher Mensch ist der einarmige Türmer und ich habe ihn sehr ins Herz geschlossen.
 
Literatopia: „Ein Versteck im Himmel“ bildet sozusagen eine gekürzte Version Deines Romans „Das Wolkenzimmer“. Warum nun eine beschnittene Neufassung? Und kannst Du uns einen kurzen Überblick über die einzelnen Unterschiede geben?
 
IK: „Gekürzte Version“ ist etwas irreführend, man stellt sich Kürzungen und Streichungen vor. „Ein Versteck im Himmel“ ist etwas anderes, es ist eine radikale Halbierung des Wolkenzimmers und erzählt dennoch die komplette Geschichte des jüdischen Jungen Jascha, der am Morgen der Deportation auf einen Turm flüchtet und vom Turmwächter bis Kriegsende – das sind drei Jahre! –versteckt wird. Dieselbe Geschichte steht auch im Roman „Das Wolkenzimmer“. Nur haben wir hier zusätzlich eine zweite Geschichte:  die des Mädchens Veronika. Verzweiflung treibt Veronika sechzig Jahre später auf genau diesen Turm. Sie will sich hinunterstürzen. Doch da ist ein Türmer, ein verschlossener 70-jähriger, der im rechten Augenblick zur Stelle ist, der unfreundlich und zornig ist und der Veronikas Interesse weckt. Sie kommen sich peu à peu näher, und Veronikas Kummer relativiert sich angesichts seines Schicksals. Sie kehrt drei Wochen später verwandelt und gereift in ihren Alltag zurück. Diese Doppelgeschichte, die auf zwei Ebenen und in zwei Zeiten spielt, macht „Das Wolkenzimmer“ zu einem umfangreichen und vielschichtigen Roman. Zumal beide Ebenen und beide Zeiten dauernd präsent sind, denn sie werden abwechselnd erzählt. Man ahnt, dass der Junge von 1942 der Türmer von 2002 ist – der Leser weiß es lange vor Veronika –, doch Gewissheit erhält man erst am Ende. Die Geschichte des Jungen, herausgezogen aus dem größeren Roman, ist eine runde, in sich geschlossene Erzählung, die es mir wert war, eigens erzählt zu werden. So ist „Ein Versteck im Himmel“ entstanden.
 
Literatopia: Im Vorwort äußerst Du Dich über die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten unter der Führung von Adolf Hitler. Wie wichtig war es für Dich, ein solches Thema aufzugreifen? Wolltest Du schon immer darüber schreiben, oder hat sich ein solcher Wunsch nach und nach entwickelt?
 
IK: Was das Hitler-Regime den Juden angetan hat, ist durch alle Geschichte hindurch unerhört. Wir, die Kinder und Enkel, tragen keine Schuld daran. Doch ist es unsere Aufgabe, gegen das Vergessen anzuschreiben und nachfolgende Generationen dafür zu sensibilisieren, dass Völkermord, wenn er im 20. Jahrhundert möglich war, möglich bleiben wird.
 
Literatopia: Nicht umsonst ist das Thema brisant und die Recherchen umfassend, wie man Deinen Erklärungen am Ende entnehmen kann. Stichwort Recherche: welcher Aufwand war notwendig, um Dich genügend einzulesen und Dich in Deinem Schreiben sicher genug zu fühlen?
 
IK: Die Recherche war langwierig und umfassend. Streckenweise liefen Schreiben und Recherchieren parallel. Ich brauchte immer wieder Details. Die fiktive Geschichte des jüdischen Jungen musste wie ein Puzzleteil in die historische Wahrheit passen. Ein Einzelschicksal, das möglich gewesen wäre. Ich habe viel gelesen, darunter die Tagebücher von Viktor Klemperer, meine wertvollste Lektüre. Ich erhielt Informationen vom „Haus der Wannseekonferenz“ in Berlin, hatte die Unterstützung des Türmers von heute und des Stadtarchivs der kleinen Stadt, in der die Geschichte spielt, und es gab natürlich das Internet.
 
Literatopia: Ob Vorlesebücher, Geschichten für Kinder ab sechs Jahren bis hin zum Jugendbuch – als Frau vom Fach und studierte Pädagogin verstehst Du Dich auf Unterhaltung für unterschiedliche Altersgruppen. Was zeichnet einen erfolgreichen Kinder- und Jugendbuchautor Deiner Meinung nach aus? Welche Qualitäten sind mitzubringen?
 
IK: Man muss nur die Kinder und Jugendlichen fragen, dann bekommt man eine klare Antwort: Spannend und lustig sollen die Geschichten sein. Meine sind allerdings nicht immer lustig … Spannend müssen sie aber schon sein, sie sollen den Leser erreichen, fesseln und nicht mehr loslassen. Für mich ist außer einer guten Story noch wichtig, dass sie auf literarischem Niveau erzählt wird. Ich selbst lese ja auch keine Bücher, die meinem literarischen Anspruch nicht genügen.
 
Literatopia: Wie emotional dürfen Kinder- und Jugendbücher eigentlich sein? Gibt es für Dich Grenzen, die Du einhalten möchtest, um besonders junge Leser nicht zu überfordern? Oder gar persönliche Regeln, die Du befolgst, um verschiedenen Altersgruppen gerecht zu werden?
 
IK: Kinder und Jugendliche haben genauso Emotionen wie Erwachsene und erwarten solche auch in der erzählenden Literatur. Nun ist es eine Stilfrage, ob man als Autorin die Gefühle der Buchfiguren benennt oder erraten lässt. Ich sage sehr selten, wie sich jemand fühlt, aber der Leser weiß es trotzdem. Denn im Reden und Schweigen, im Tun oder Nicht-Tun verraten die Buchhelden ihre Gefühle. In einer gut erzählten Geschichte geschieht es beim Lesen ganz von selbst, dass man mit den Buchhelden mitleidet und sich mitfreut. Mindestens eine Figur im Buch sollte außerdem eine so genannte Identifikationsfigur sein, die es dem Leser leicht macht mitzufühlen, eine Figur, die man am Ende des Buches ungern verlässt (darauf bauen übrigens Serien auf).
Zur Frage nach den „Grenzen“ der dargestellten oder hervorgerufenen Emotionen: Da junge Leute in aller Regel bereits durch eine Hölle von Emotionen gegangen sind, wüsste ich nicht, warum man sie ihnen in Büchern vorenthalten sollte. Die Grenze zieht man durch die Art und Weise der Darstellung. Zum Beispiel wird in einem meiner Bücher eine 14-jährige vergewaltigt, wir erleben ihre Gefühle und die Szene ist im Detail dargestellt, ohne dass jemand Anstoß nehmen könnte. Konkrete Regeln braucht man als Autorin nicht, aber Fingerspitzengefühl.
 
Literatopia: Brutalitäten sind aus der Kinder- und Jugendbuchliteratur nicht mehr wegzudenken. Ob „Honky Tonk Pirates“ für jüngere Leser oder Jugendbuch-Trilogien aller „Panem“ - wie empfindest Du diese Entwicklung? Bist Du bestrebt Dich von ähnlichen Dingen zu entfernen, oder aber ist es in Deinen Augen wichtig und gut, junge Leser mit solchen Inhalten zu konfrontieren?
 
IK: Ich kann dazu wenig sagen, da ich die zitierten Bücher nicht kenne. Was ich zu sagen hätte, steckt bereits in meiner vorherigen Antwort. Hinzufügen möchte ich, dass die moderne Literatur den jungen Leuten keine heile Welt vorgaukelt – was ich gut und richtig finde –, dass aber auf der anderen Seite Gewaltthemen auf keinen Fall dominieren sollten.
 
Literatopia: Bereits über 25 Kinderbücher und 30 Jugendromane hast Du verfasst und seit 1991 verschiedene Preise gewonnen. Welcher Roman und welcher Preis sind für Dich wahre Besonderheiten? Und inwieweit hat sich Dein Schreiben im Lauf der Zeit verändert?
 
IK: Ich denke, man entwickelt sich in jedem Beruf weiter, entsprechend verändert sich auch das Schreiben mit den Jahren: der Stil, die Themen. Selbstkritik wächst, Stilsicherheit nimmt zu. Doch eins geht eher nicht: Ich habe einmal versucht, mein erstes Buch auf meinen heutigen Schreibstil zu trimmen – völlig unmöglich! Damit hätte ich das Buch zerstört. Es muss genau so bleiben, wie ich es damals geschrieben hatte.
 
Literatopia: Du bekennst Dich dazu, selbst gern und ausgiebig zu lesen. Verrätst Du uns welches (Jugend-)Buch Dich in den letzten Monaten besonders beeindruckt hat und warum? Und welche Genres sind Deine besonderen Favoriten?
 
IK: Ich ziehe eigentlich kein Genre einem anderen vor. Ein Buch muss mich thematisch zum Lesen verlocken und dann halten, was es versprochen hat. Fantasy lese ich eher selten (ich kenne hauptsächlich „Lord of the Rings“ von Tolkien, „Harry Potter“ von Rowling und „His Dark Materials“ von Pullman) . Fantasy-Bücher gibt es inzwischen wie Sand am Meer, ich versuche nicht mehr, einen Überblick zu behalten oder herauszufinden, was mich zum Lesen verführen könnte.
Welches Jugendbuch mich in letzter Zeit besonders beeindruckte? „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf.
 
Literatopia: Hast oder hattest Du jemals literarische Vorbilder? Wenn ja, welche Autoren oder Lyriker bewunderst Du besonders? Würdest Du sagen, sie haben Dich und Dein Schreiben maßgeblich geprägt?
 
IK: Keine Vorbilder, keine spezielle Prägung. Aber ich habe eine Ecke in meinem Bücherschrank, in der ich Perlen sammle, darunter sind Werke wie „Tschick“, „Der rote Nepomuk“, „Tanz auf dünnem Eis“, „Animal Farm“, „The Old Man and the Sea“ und einige weitere.
 
Literatopia: Im Mai erschien unsere zweite Ausgabe des „Phantast“, einem Literaturmagazin für phantastisch orientierte Leser. Was denkst Du über solche PDF-Publikationen? Liest Du selbst auch das ein oder andere Literaturmagazin und wenn ja, verrätst Du uns welches?
 
IK: Kann ich nichts dazu sagen. Ich muss gestehen, dass ich mit meiner Zeit knausere, ich will ja schreiben. Wenn ich mir also zwischendurch Lektüre gönne, dann ist es ein Roman. Dabei sind Literaturzeitschriften etwas Wunderbares, und bestimmt versäume ich bereichernde Beiträge.
 
Literatopia: Neben Schreiben und Lesen gehst Du gern wandern, pflegst Beziehungen und hörst sowie sprichst Mundarten. Welcher Dialekt gefällt Dir den am besten und was gäbe es denn sonst noch über eine Irma hinter den Kulissen zu erzählen? Hast Du (literarische) Leichen im Keller?
 
IK: Keine Leichen im Keller … Zur Mundart: Mir gefällt JEDER Dialekt, wenn er von einem Menschen gesprochen wird, der damit aufgewachsen ist und für den dieser Dialekt die natürliche Sprache ist. Daran habe ich dann Vergnügen. Genauso wie ich Sprachen im allgemeinen liebe und mich immer wieder mal mit einer Fremdsprache beschäftige.
 
Literatopia: Du dichtest scheinbar auch gern. Regelmäßig und immer wieder gerne, oder gehören lyrische Auswüchse schon länger der Vergangenheit an? Wenn nicht, wo gibt es sie zu lesen und welchen Dingen widmest Du Dich besonders gern?
 
IK: Ja, ich schreibe sehr gern Gedichte. Wenn mir versehentlich abends noch eines einfällt, verfliegt jede Müdigkeit und ich brauche die ganze Nacht keinen Schlaf. Am Morgen ist das Gedicht dann fertig, vielleicht auch noch ein zweites oder drittes. Das kann zur Sucht werden, da muss ich aufpassen und mich mit Gewalt anderweitig beschäftigen, bis der „Anfall“ vorüber ist. Veröffentlicht habe ich bisher „Babygedichte“, die eigentlich „Junge-Mama-Gedichte“ sind, und in einigen Anthologien findet man auch Gedichte von mir. Hier zum Spaß ein Vierzeiler:
 
Ein Lesezeichen träumte
dass es den Schluss versäumte
schrak auf mit einem Fluch
war schon im nächsten Buch
 
Literatopia: Ordnungsmensch oder Chaostiger? Welches von beiden trifft auf Dich zu und wie weit hat Dich diese Eigenschaft beim Schreiben behindert oder unterstützt?
 
IK: Je mehr man schreibt und veröffentlicht, desto größer wird das Chaos im Arbeitszimmer, scheint mir. Denn viele Dinge sind in der Schwebe, noch nicht abgeschlossen, werden überarbeitet, kommentiert, neu hervorgeholt, gekürzt usw. – man kann sie sozusagen nicht „wegräumen“. Wohin also damit? Ganz klar: Sie bleiben auf dem Schreibtisch liegen. Bis die Berge so angewachsen sind, dass man fast mehr Zeit mit Suchen verbringt als mit Schreiben. Da kann ich ja gleich etwas ziemlich Peinliches gestehen: Ich habe gestern 25 € ausgegeben für einen Fernkurs per E-Mail „Wie kriege ich das Chaos auf meinem Schreibtisch in den Griff?“ Solche Maßnahmen ergreift man aus Verzweiflung. Der Leser mag daraus ableiten, dass mich eine chaotisches Umgebung sehr beim Schreiben behindert.
 
Literatopia: Wo und wann schreibst Du? Brauchst Du ein gewisses Umfeld, um in Stimmung zu kommen, oder könnte um Dich herum die Welt im Chaos versinken, während Du tief konzentriert die Tasten zum Glühen bringst?
 
IK: Ich brauche die Stille und Abgeschiedenheit meines Arbeitszimmers, einen leeren Bildschirm, eine Tasse Kaffee, reichlich Frischluft und eine Decke, in die ich mich hüllen kann, und vor allem eins: üppig Zeit. Unter solchen Bedingungen kann sich der leere Bildschirm allmählich füllen. Egal womit: die Umgebung ist immer dieselbe.
 
Literatopia: An welchem Projekt arbeitest Du derzeit und was dürfen wir in naher und auch ferner Zukunft von Dir erwarten? Möchtest Du irgendwann wieder einmal für Erwachsene schreiben? Oder bleibst Du Deinem jüngeren und jugendlichen Publikum treu?
 
IK: Man kann ja das eine tun, ohne das andere zu lassen. Ich mache gerade eine Stoffsammlung für ein Erwachsenenbuch. Bin noch nicht weit gekommen, kann also sein, dass ich wieder abspringe. Ich schreibe gerade etwas halbherzig, weil ich als leidenschaftliche Gipfelssammlerin endlich mal wieder auf einen Berg will. Die Bergsaison ist so kurz … Und ein bisschen Freizeit braucht der Mensch.
 
Literatopia: Herzlichen Dank für das schöne Interview, Irma!
 
IK: Herzlichen Dank für‘s Interesse und die gründliche Auseinandersetzung mit meinem neuen Buch!
                        Das Interview ist unter diesem Link abzurufen:
http://www.literatopia.de/index.php?option=com_content&view=article&id=11995:irma-krauss-24072011&catid=48:interviews&Itemid=85
 


 
02  Beschreiben Sie uns Ihren Weg zur ersten Veröffentlichung
Gespräch mit Franziska Huhnke, die unter dem Namen BÜCHERCHAOS einen Bücherblog führt

 
FH:      Hallo Frau Krauß, wer Sie noch nicht kennt, was sollte man von Ihnen wissen?
 
ANTWORT:    Wenn man mich wirklich kennen lernen will, empfiehlt es sich, eines dieser beiden sehr unterschiedlichen Bücher zu lesen: „Das Wolkenzimmer“. „Glücksgift“. Darin steckt vermutlich mehr von mir als in der eher durchschnittlichen Alltagsfrau, die ich scheinbar bin. Wenn man sich nach der Lektüre noch immer für mich interessiert, kann man ja das nachfolgende Interview lesen ...
 
FH:      Erst Grundschullehrerin, dann entdeckten Sie das Schreiben für sich. Kam Ihnen dieser Gedanke einfach so?
ANTWORT:     Nein. Er hat sich schon viel, viel früher gemeldet. Nur habe ich im zarten Alter von 13 Jahren gemerkt, dass ich keinen Roman zustande bringe und habe daraus geschlossen, dass ich mich nicht zur Autorin eigne. Geholfen hat mir auch niemand, ging auch gar nicht, denn ich habe keinem Menschen von meinen Versuchen erzählt. Die Meinung, dass ich es nicht kann, hielt sich gut 20 Jahre ...
 
FH:      Beschreiben Sie uns Ihren Weg zur ersten Veröffentlichung!
 
ANTWORT:   Also, das war so. Ich schlachtete an einem schwülen Juniabend Legionen von Schnecken in meinem Garten. Am nächsten Morgen schrieb ich die Schlussszene eines Buches, das schlimm endet. In den darauf folgenden sechs Wochen schrieb ich den ganzen Roman auf diese Schlussszene zu. Ich reichte ihn ein bei: Piper, Hanser und Ehrenwirth in München. Ehrenwirth hat zugeschlagen. An die drei Verlage kam ich so: Ich suchte die Telefonnummern im Telefonbuch, rief in den Verlagen an und ließ mir die Adressen geben – im Herbst 1989 gab es noch keine Google-Suche ... Wenn ich also von einigen Wochen zermürbender Wartezeit absehe, lief es bei mir von Anfang an ziemlich glatt. Ach ja, die böse Schneckengeschichte erschien unter meinem Wunschtitel „Ungeheuer“ im Herbst 1990 bei ehrenwirth. Experimentierfreudig wandte ich mich einem anderen Genre zu, nämlich dem Jugendbuch. Ich schicke das Manuskript dem damals noch blühenden Franz Schneider Verlag. Es wurde angenommen und das Schicksal einer Kinder- und Jugendbuchautorin nahm seinen Lauf ...
 
FH:      Auf Ihrer Internetseite sieht der geneigte Leser, dass Sie alle Altersgruppen mit Texten, Gedichten und Büchern versorgen. Für welches Alter schreiben Sie am liebsten?
 
ANTWORT:     Immer gerade für das, dem ich mich schreibend zuwende – man hat ja eine Zielgruppe im Hinterkopf. Dabei ist die Zielgruppe nicht das Entscheidende, zumindest nicht am Anfang, am Anfang steht die jeweilige Geschichte und um die geht es. Habe ich mich einmal für eine Geschichte entschieden, frage ich mich natürlich: Wer will das lesen? Und dann weiß ich ziemlich schnell, für wen ich die Geschichte schreibe. Weil es um die Geschichte geht und ich sie gern schreibe, ist das Alter der Leser zweitrangig, beziehungsweise, es ist mir recht, ich akzeptiere es, ich ziehe kein Alter einem anderen Alter vor.
 
FH:      Letztes Jahr erschien bei cbt ein Thriller von Ihnen. Werden weitere folgen? Und worauf können sich Ihre Leser in nächster Zeit freuen?
 
ANTWORT:   Ich habe 2010 meinen ersten Psychothriller geschrieben, mit Skrupeln und Zweifeln – und natürlich mit Herzblut, weil ich nicht anders kann als mich tief hineinknien. Das Buch heißt Glücksgift und wurde für den Hansjörg-Martin-Krimipreis nominiert. Ich bin sehr glücklich darüber. Ist es doch die Bestätigung, dass ich für das Genre tauge. Meine Leser dürfen gern ein paar Wünsche äußern – noch bin ich frei darüber nachzudenken, ob sie sich in den nächsten Thriller integrieren lassen …
 
FH:      Beschreiben Sie sich in vier Worten:
 
ANTWORT:    Augen zu und durch (zur Erklärung: So bin ich, so fahre ich Auto, so treffe ich rasche Entscheidungen)
 
FH:      Vervollständigen Sie bitte folgende Sätze:
 
ANTWORT:    Schreiben ist für mich tausend Leben leben; normalerweise hat man ja nur
                                                                                                             eines ...
ANTWORT:     Wenn ich nicht schriebe, würde ich gärtnern
ANTWORT:    Ein Lieblingsbuch / einen Lieblingsautor habe ich nicht
 
FH:      Und zu guter letzt noch ein Tipp von der Autorin Irma Krauß an Menschen, die selbst schreiben wollen!
 
ANTWORT:    Loslegen! Denn was kann einem schon passieren? Sollte man sich geirrt haben und nicht wirklich zum Schreiben begabt sein, bleiben einem noch immer die vielen, vielen Leben, die man lesend leben kann. Glauben Sie mir, das ist um einiges bequemer als fremde Schicksale selbst zu erfinden.
 
Das Interview ist unter diesem Link abzurufen:
 
http://buecherchaos.wordpress.com/?s=Irma+Krau%C3%9F
 

03  Warum vermitteln Sie Wissen in Romanform?
Judith Bauer, Lehramtsstudentin aus Weingarten, fragt für ihre Abschlussarbeit "Literatur und Natur - das Werk der Irma Krauß in der Sekundarstufe 1"

Bauer:     Warum haben Sie sich bei einigen Ihrer Werke für die Vermittlung von kulturellem/ökologischem Wissen in Form eines fiktionalen Textes anstelle eines Sachtextes entschieden?
 
IK:        Weil ich Romanautorin bin! Ich schreibe generell keine Sachbücher und selbst kürzere Sachtexte nur ungern.

Bauer:      Was ist beim Schreiben einer Mischform von Sach- und fiktionalem Text wie in „Arabella oder Die Bienenkönigin“ oder auch „Kurz vor morgen“ besonders schwierig im Vergleich zu einem reinen Roman?
 
IK:        Genau das: Dass es dennoch ein Roman wird, mit allem, was einen Roman kennzeichnet. Das heißt, die Sachinformation muss sehr sorgfältig in die Szenen, in die Handlung eingebaut werden. Auch längere Passagen dürfen nie belehrend wirken, sondern müssen sich zwanglos und natürlich ergeben, sei es in der wörtlichen Rede oder im inneren Monolog. Die Handlung darf nicht aufgehalten werden – oder zumindest soll der Leser nicht den Eindruck haben, dass sie aufgehalten wird. Und das funktioniert nur, wenn ihn die Sachinformation interessiert und unterhält. Die Atmosphäre einer Szene muss in jedem Fall erhalten bleiben.

Bauer:       Laut der Widmung in „Arabella oder Die Bienenkönigin“ waren Ihre Eltern Imker. Haben Sie als Kind ihre Begeisterung geteilt? Haben Sie oder ihre Geschwister die Imkerei weitergeführt? Warum (nicht)?
 
IK:        Die Imkerei hat mich damals nicht im geringsten interessiert. Ich mochte den Geruch nach Wachs, Honig und Rauch, der in der Arbeitskleidung meine Eltern hing und der auch aus der Werkstatt meines Vaters drang, wenn man den Riegel zurückschob und die grobe Holztür öffnete – doch darüber hinaus fand ich nichts Anziehendes an der Beschäftigung mit den Bienen. Ich muss dazu sagen, dass ich lebensbedrohlich allergisch auf nur einen einzigen Bienenstich reagierte; einmal schickten mich meine Eltern mit dem Fahrrad zum 3 km entfernten Arzt, als mir nach einem Bienenstich der Hals zuzuschwellen begann; bis ich dort war, kriegte ich fast keine Luft mehr und musste meine dick geschwollenen Augenlider mit zwei Fingern öffnen, um in die Praxis hineinzufinden.
Wir hatten Honig im Überfluss, doch alles klebte: die Gläser, Eimer und Töpfe, die Löffel und sonstigen Werkzeuge, der Fußboden und die Türklinken – ich verabscheute das.
Ich begann mich erst zu interessieren, als meine Eltern verkündeten, sie müssten die Imkerei nun einstellen, sie könnten die schweren Kästen nicht mehr tragen und ob denn einer von uns (fünfen) interessiert wäre, den Betrieb weiterzuführen. Es gab Überlegungen, doch niemand hatte die nötige Freizeit dafür, wir wussten auch alle, dass es eigentlich ein Vollzeitjob war. Meine Eltern mussten daraufhin alles mehr oder weniger verschenken, auch ihr reiches Erfahrungswissen würden sie eines Tages mit ins Grab nehmen. Sie waren bitter und traurig. Aus dieser Stimmung heraus kam mir der Gedanke, wenigstens einen Teil ihres Wissens in einen Roman einzubringen (bei mir sind es immer Stimmungen, Gefühle, die den Anstoß zu einem Buch geben). Daraufhin hatte ich schöne Stunden mit meinem Vater im Bienenhaus, wo ich ihn beobachtete und er mir die Dinge erklärte. Es war sein vorletztes Bienenjahr. Ich begann im Frühjahr, und während ich recherchierte, schrieb ich bereits.

Bauer:       Bezogen auf Ihr Buch „Kurz vor morgen“: Was halten Sie von häufig gebrauchten Aussagen wie „Früher war alles besser“ oder „Früher war alles schlechter“?
 
IK:        Ich las einmal die sehr aktuelle Beschwerde eines älteren Herrn über die missratene Jugend und die veränderten Zeiten. Der Text war aber keineswegs aktuell! Er stammte aus vorchristlicher Zeit und der ältere Herr war nach meiner Erinnerung ein römischer Senator.
Ich glaube und fürchte, dass sich die Geschichte einfach nur immer wiederholt, denn im Menschen sind angelegt: Selbstsucht, Machtgier, Intoleranz. Aufgrund der technischen Möglichkeiten und der globalen Auswirkungen (aktuelles Beispiel Ölpest) sind Kriege und Katastrophen allerdings unter Umständen ungleich verheerender als früher.

Bauer:       In Ihrem Buch „Kurz vor morgen“ stellt sich Senta vor dem Grab ihrer Urgroßmutter die Frage nach der Vergleichbarkeit von Schicksalen: „Was für ein Schicksal, dachte ich. So eins möchte ich nicht haben. Allerdings fragte ich mich fast noch im selben Augenblick, ob meine Mutter ein besseres hatte. Ihr Beruf, ihre Kontakte, ihre Freiheit, ihre Reisen – ja, fand ich. Aber dann fiel mir das ein, was sie vergeblich suchte und was meine Urgroßmutter im Überfluss gehabt hatte: Uroma war abgöttisch geliebt worden. (…) Also, die Antwort, Senta?, sagte ich zu mir selbst. Ich wusste sie nicht. Viel Liebe und viel Leid – oder gar nichts davon. Was war nun besser?“ (S. 87-88, Ausgabe: Beltz und Gelberg .2002. Taschenbuch ) Haben Sie eine Antwort auf Sentas Frage? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?
 
IK:        Wenn ich denn schon wählen müsste, wäre es für mich Variante 1: viel Liebe und viel Leid. Auch im Hinblick auf meinen Beruf. Denn mit Gleichmut und ohne die Erfahrung von tiefen Gefühlen, die einem nur die Liebe, der Hass und das Leid bescheren können, schreibt man vielleicht Sachbücher, aber keine (guten, atmosphärisch dichten) Romane.


04  Was macht Ihnen Freude?
Zwanzig Fragen von Siegfried Rupprecht für die Wertinger Stadtzeitung

 

  1. Was macht Ihnen Freude?

    Ich freue mich über gute Gespräche und interessante Begegnungen, über unkomplizierte Nachbarschaft und über den Zusammenhalt in der Familie. Die allergrößte Freude habe ich vielleicht an der Natur: am Vogelgesang, an der Sonne, die morgens in meine Küche scheint und nachmittags in mein Arbeitszimmer, am Wunder, das in der kleinsten Blüte steckt.
     
  2. Welchen Berufswunsch hatten Sie als Kind?

    Ich erzählte damals, ich würde gern Journalistin werden – und wusste von diesem Beruf nur, dass „man schreibt“. Bücher schreiben wollte ich in Wirklichkeit sagen, aber das kriegte ich nicht über die Lippen.
     
  3. Was ist für Sie der schönste Ort in der Region Wertingen und warum?

    Ich kenne keinen „schönsten Ort“, dafür aber viele, viele „schöne Fleckchen“. Im Frühling die Auwälder, im Sommer den Wald hinter Buttenwiesen, im Herbst die Wanderwege an der Zusam, im Winter wieder den Wald ... Natürlich gibt es auch Häuser und Gärten, die mir gefallen: Einfache Häuser müssen das sein ohne viel Firlefanz. Und Gärten, aus denen die Natur noch nicht vertrieben wurde. Gekünsteltes mag ich nicht.
     
  4. Was schätzen Sie an der Region Wertingen?

    Ich bin hier geboren und aufgewachsen – und lebe noch immer hier. Es gab keinen Grund wegzuziehen; das hier ist meine Heimat und mein Haus ist der ideale Rückzugsort. Auf Lesereisen erlebe ich andere Regionen, das genügt. Gut, mir fehlen manchmal die hochkarätigen kulturellen Angebote der Großstadt, doch ich bin ja mobil
     
  5. Was erinnert Sie an Ihre Jugend und warum?

    Die Menschen, die mir von damals geblieben sind: Eltern, Onkel und Tanten, sie leben ja auch alle hier. In ihnen finde ich kleine Verbindungsstücke zu Kindheit und Jugend.
     
  6. Welches Fach in der Schule war Ihr schlechtestes und welches Ihr bestes?

    In Mathematik war ich bodenlos schlecht. Ich beschloss, mir ein schlechtes Fach leisten zu können, in das ich weder Zeit noch Arbeit investieren wollte. Meine Begeisterung gehörte den Fremdsprachen und den musischen Fächern.
     
  7. Mit wem würden Sie gern bei einem Glas Wein zusammensitzen und warum?

    Verzeihung, ich sitze nicht gern ... Ich unterhalte mich am liebsten im Gehen. Aber mit wem? Vielleicht mit der Unbekannten, die ihren Hund im Sturmschritt ausführt? Jeder Mensch hat seine Geschichte und kann etwas erzählen. Zum Beispiel der Bauer, der seinen Wald nachpflanzt, obwohl er nichts mehr davon haben wird. Ich höre gern den so genannten einfachen Menschen zu.
     
  8. Welchem Fußballverein drücken Sie die Daumen?

    Fußball – was ist das?!
     
  9. Ihr Motto fürs Leben

    Optimismus und Freundlichkeit. Wo nicht möglich: Augen zu und durch.
     
  10. Welches Buch lesen Sie gerade?

    Mein eigenes, weil ich passende Textstellen für eine Lesung suche. Und in der Freizeit „Die Wand“ von Marlen Haushofer.
     
  11. Wie heißt Ihr Lieblingskünstler (Literatur, Film, Kunst usw.)?

    Welcher Mensch hat denn einen Lieblingskünstler?! Ich kann mich da unmöglich festlegen, schon gar nicht in der Literatur. Eine Vorliebe habe ich für Bilderbuchkünstler – es gibt richtig gute „Buchmaler“ und „Buchmalerinnen“.

     
  12. Mit wem würden Sie gerne einen Monat tauschen? Warum?

    Mit einem Hütebub in den Bergen – aber es müsste Sommer sein. Dann wäre ich da, wo ich am liebsten bin und wäre jung und beweglich wie eine Gämse.
     
  13. Ihr Haus brennt und alle Personen und Tiere sind bereits außer Gefahr. Was retten Sie von Ihrem Hab und Gut im Haus als erstes?

    Mein Notebook. Auf der Festplatte ist meine Arbeit der letzten 20 Jahre gespeichert ...
     
  14. Wenn Sie nochmals von vorne anfangen dürften, was würden Sie anders machen?

    Ich würde von Anfang an sagen: Ich will Bücher schreiben, bitte, wie geht das?
     
  15. Was ist Ihr Lieblingsgericht?

    Selbst gemachte Kartoffelpfannkuchen mit frischem Apfelmus.
     
  16. Welche Hobbys haben Sie?

    Ich „sammle“ Berggipfel, die man ohne Seil und Haken erreichen kann und tanze fürs Leben gern. Außerdem mag ich langweilige Hausarbeit, bei der ich einen guten Musiksender oder Hörspiele auf BBC hören kann. Und ich lese natürlich. Aber nur Bücher, die mir etwas grundlegend Neues sagen, oder aber, falls Altbekanntes, das dann in neuer Form.
     
  17. Auf was sind Sie besonders stolz und warum?

    Da muss ich passen. Wenn die Frage allerdings lauten würde: Womit sind Sie zufrieden? Dann würde ich sagen: Mit dem, was ich ohne alle Beziehungen beruflich erreicht habe.
     
  18. Ist Humor für Sie wichtig und warum?

    Ich merke ganz besonders beim Chatten und beim E-Mail-Austausch, ob jemand Humor hat oder nicht. Hat er, dann habe ich Vergnügen am Austausch. Da passiert gegenseitiges Verstehen und ein wildfremder Mensch kommt einem näher, als so manch einer aus der vertrauten Umgebung einem jemals kommen kann.
     
  19. Was ist für Sie Luxus? Welchen gönnen Sie sich?

    Luxus ist, wenn ich als Freiberuflerin, die eigentlich nicht muss, zu mir sage: Du bist Freiberuflerin, nimm dir verdammt noch mal einen Tag frei und fahre in die Berge.
     
  20. Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind  Sie?
    Die Praktische, Bodenständige, die immer eine Lösung findet. Schade nur, dass das Leben kein Comic ist.
 
 
 


05  Welche "Bühne" braucht Literatur, um zu begeistern?
Fragen von Thalia an Autoren, die auf der lit.COLOGNE auftreten,
und Antworten von Irma Krauß

Welche „Bühne“ braucht Literatur, um zu begeistern?

Ein Roman braucht eigentlich keine Bühne, er ist gar nicht dafür konzipiert, sondern will den stillen Leser erreichen, der seine empfundene Begeisterung dann gern mitteilt, zunehmend auch via Internet, denn es ist uns ein Bedürfnis, schöne (Lese-) erlebnisse mit anderen zu teilen. Für den Verkauf des Romans ist dies allerdings der langsame Weg, und Langsamkeit können sich Bücher heutzutage nicht mehr leisten, sie sind „von der Bühne“, ehe sie sich durchsetzen konnten. Autorenlesungen, wenn sie gut sind, können den Verkauf fördern und sind insofern eine nützliche Bühne.

-        Welche Rolle spielt für Sie die Inszenierung Ihrer Bücher vor Publikum?

Mein Publikum sind in der Regel Kinder und Jugendliche, der Ort ist die Schule. Ein beträchtlicher Teil meiner Hörer ist also nicht freiwillig hier – und das macht für mich einen Hauptreiz der Veranstaltung aus. Ich präsentiere meine Bücher gern, und wenn der Funke überspringt und ich tatsächlich auch die „Unfreiwilligen“ erreiche und für ein Buch begeistern kann, ist das ein erhebender Moment.
 
-          Welche Bedeutung hat die Interaktion mit dem Leser?
Lesen ist ein sehr persönlicher Akt; jemand hat eine Geschichte geschrieben, ein anderer liest sie; der sie geschrieben hat, ist mit seiner Arbeit fertig und ist hinter dem Buch verschwunden. Eine Begegnung zwischen Autor und Leser ist also eher die Ausnahme und eigentlich eine aufregende Sache: Plötzlich hat der unbekannte Leser ein Gesicht, nein, viele Gesichter, er hat Meinungen und Empfindungen, die er auch äußert. Doch auch die Autorin hat plötzlich ein Gesicht, eine Stimme, und ist vielleicht ganz anders, als sie der Leser sich vorgestellt hat; das mag verwirren oder auch ein neues Licht auf das Buch werfen.
 
-         Haben Sie den Leser beim Schreiben im Hinterkopf?

Nicht wirklich. Ich schreibe so, wie die Geschichte verlangt geschrieben zu werden. Sie muss sich dann eben ihre Leser suchen. Selbst wenn ich für jüngere Kinder schreibe und mich inhaltlich und sprachlich anpassen muss, ist kein kindlicher Leser als Instanz in meinem Hinterkopf. Immer ist es die Geschichte, die bestimmt.
 
          Was macht für Sie den „idealen Leser“ aus?
 
Meine Bücher sprechen nicht die breite Masse an, und so ist „meine“ Leserin, „mein“ Leser jemand, der sorgfältig auswählt und seinem „Fund“ alle Aufmerksamkeit zukommen lässt.
Das
Das Interview im Netz:
http://www.skizzenbuch.thalia.de/2011/03/08/5-fragen-an-irma-kraus-2/
 


06 DeutschlandRadio /DEUTSCHLANDFUNK, Buchredaktion

Gespräch mit Irma Krauß über die Gemeinsamkeiten in ihren1999 erschienenen Jugendbüchern „Kurz vor morgen“, aare (Aarau/Frankfurt)und „Arabella oder Die Bienenkönigin“, Beltz & Gelberg (Weinheim)

Interviewpartnerin und Rezensentin: Sylvia Schwab

 „Arabella oder Die Bienenkönigin“ und „Kurz vor morgen“ haben einige Gemeinsamkeiten. Beide spielen auf dem Land, genau: auf dem Dorf. Natur pur, könnte man sagen. In „Arabella“ spielt die Imkerei eine Hauptrolle, und in „Kurz vor morgen“ besucht die Protagonistin ihren Urgroßvater, der inmitten einer ländlichen Idylle lebt und sich in den dörflichen Strukturen geborgen fühlt.

 O-Ton Krauß: Ich glaube, die Botschaft lautet, dass die Natur erhaltenswert ist und dass man sich dessen immer bewusst sein sollte. Ich hab’ hier in Arabella die Natur in den Bienen verkörpert ... Ich habe 29 Jugendbücher geschrieben und dies ist das dreißigste, und erst beim dreißigsten hab ich gewagt, das zu thematisieren: ... meine Verbundenheit mit der Natur, mit dem Land, auch mit den Bienen.

Ein zweites gemeinsames Merkmal beider Bücher ist die Verbindung von Geschichte und Geschichten, von Vergangenheit und Gegenwart. Und das vor allem dadurch, dass Menschen aus drei und sogar vier verschiedenen Generationen aufeinandertreffen. Neugierig suchen sie nach Gemeinsamkeiten und gehen dort aufeinander ein, wo sie sich auf Grund ihrer ganz unterschiedlichen Fähigkeiten und Erfahrungen brauchen oder unterstützen können.

O-Ton Krauß: Für mich sehr wichtig: der Kontakt mit Menschen verschiedener Generationen. Das ist Augen öffnend, Horizont erweiternd. Jugendlichen, die ausschließlich Umgang mit ihresgleichen haben, bleiben viele Erfahrungen verschlossen, die sie nur bekommen könnten, wenn sie mit älteren Menschen zusammen leben oder arbeiten würden. Deswegen glaube ich, es ist wichtig, in Büchern darauf zu sprechen zu kommen. Und darzustellen, dass es reizvoll sein kann, mit älteren Menschen Umgang zu haben. Dass es bereichernd ist und überhaupt nicht langweilig sein muss.

Im Mittelpunkt von „Arabella oder Die Bienenkönigin“ steht der dreizehnjährige Benni. Nur ungern ist er aufs Dorf gezogen. In der Stadt sind alle seine Freunde, im Dorf dagegen regiert die Sailer-Bande in ihren Militärklamotten. Außerdem ist er unglücklich verliebt in Arabella, ein Mädchen aus seiner Klasse. Dass Benni das Landleben dann doch zu lieben beginnt, liegt allein an zwei alten Leuten: an Gregor und Oma Friedl. Durch die beiden lernt er die Bienenzucht kennen und bald bekommt er sogar sein eigenes Bienenvolk. Seine Königin nennt er heimlich Arabella. Und irgendwann beginnt sogar die richtige Arabella sich für ihn zu interessieren.

O-Ton Krauß: Bei dem Buch handelt es sich eigentlich um ein verkapptes Sachbuch. Es ist nicht ganz einfach, ein Sachthema in einen Roman einzuarbeiten. Ich bin keine Sachbuchautorin, ich kann nur Romane schreiben. Ich schreibe für mein Leben gern Romane, und ich denke, das ist auch meine Berufung. Und das Sachthema da reinzupacken hat auch eine Reife gebraucht, die ich erst nach vielen Büchern erreicht habe.

Diese nahtlose Einbindung von unzähligen Informationen über die Imkerei in eine anrührende und spannende Geschichte ist Irma Krauß auf hervorragende Weise gelungen. Was die jungen Leser über das Leben der Bienen erfahren, ist niemals abgehoben oder langweilig, sondern immer interessant, lebendig, ja sogar witzig. Die Geburt einer Königin, das Töten der Rivalin, der Begattungsflug, der für die erfolgreichen Männchen tödlich endet, die brutale Behandlung der Drohnen durch die Arbeitsbienen – Irma Krauß’ kleiner Kurs in Sachen Imkerei liest sich streckenweise wie ein Krimi.

Doch die Autorin gaukelt uns keine heile Welt vor. Die Geschichte endet vielmehr hochdramatisch. Am Schluss stehen Trauer, Melancholie, aber auch die Hoffnung auf einen Neuanfang. Was sich Kindern vermittelt, ohne direkt thematisiert zu werden, ist der natürliche Rhythmus der Jahreszeiten, von Geburt und Tod, von Glück und Trauer. Das sind Beobachtungen, Erfahrungen und Gefühle, die unsere Stadt- und Computerkinder nur noch selten Gelegenheit haben mitzuerleben.

 O-Ton Krauß: Ich glaube, wer sein Leben mit dem Studium der Bienen verbringt, der muss sehr weise geworden sein, und er hat vielleicht eine eigene Zeitform, eine etwas verlangsamte. Das lernt hier der zwölf- dreizehnjährige Benni ganz unbewusst, er spricht es auch nie aus ...

Noch deutlicher als in „Arabella“ wird das Phänomen des verlangsamten Zeitablaufs in Irma Krauß’ Roman „Kurz vor morgen“. Die sechzehnjährige Senta hat einen 101-jährigen Urgroßvater, den sie bisher noch nie gesehen hat. Der Zufall führt sie in sein Heimatdorf und die Begegnung der beiden wird zu einer Begegnung der Jahrhunderte. Denn mit dem Tod seiner Frau vor fünfzig Jahren ist für den Mann die Zeit stehen geblieben. Sentas Auftauchen bringt ihm, der nur in der Vergangenheit lebt, die Gegenwart und das Jahrtausend-Ende ins Haus. Senta, die für ihr Alter außerordentlich reif und reflektiert ist, entschließt sich, zumindest zeitweilig beim Urgroßvater zu bleiben. In seinem Haus, das er seit über fünfzig Jahren nicht verlassen hat, passt sie sich seinem verlangsamten Lebensrhythmus an und taucht mit ihm ein in seine Vergangenheit.

O-Ton Krauß: Sie ist bestimmt etwas außergewöhnlich, aber es gibt solche Menschen. Und das ist doch das Schöne. Warum soll ich immer nur von gewöhnlichen Menschen schreiben. Es dürfen doch außergewöhnliche sein, die zu Empfindungen fähig sind, die die Jugend gemeinhin nicht hat ... Denn Senta macht das ja aus ihrem inneren Bedürfnis heraus, den alten Mann nicht allein zu lassen. Deswegen zieht sie zu ihm.

„Kurz vor morgen“ ist, abgesehen von einigen wenigen zu glatt gebügelten Ereignissen – der Urgroßvater stirbt zum Beispiel in der Millenniums-Silvesternacht – ein berührendes, ja bewegendes Buch. Nicht nur die Geschichte selbst, so unwahrscheinlich sie auch ist, nimmt gefangen. Denn der Urgroßvater hält Senta für seine Frau, weil diese ebenfalls Senta hieß, und begreift nur langsam und leidvoll, dass er die zweite Hälfte seines Lebens gar nicht erlebt hat. Wie er vorsichtig, Stück für Stück, die Zeitmauer, die er um sich aufgerichtet hat, zerbricht, und wie umgekehrt das junge Mädchen sich von Tag zu Tag mehr dem alten Mann zu-neigt, zu-wendet, das hat Irma Krauß sehr zart und zugleich ganz genau beschrieben. „Kurz vor morgen“ ist ein Roman über die Zeit im doppelten Sinn: über die Zeitläufe, über Gegenwart und Vergangenheit, gestern und morgen einerseits und über die Zeitdauer, das verlangsamte Erleben alter Menschen andererseits. Irma Krauß passt den Erzählablauf der verlangsamten Wahrnehmung des Urgroßvaters an. Und diese „Entdeckung der Langsamkeit“ ist nicht nur wohltuend, sondern beschert dem Leser auch eine Fülle von leisen Szenen und liebevoll arrangierten Details.

O-Ton Krauß: Ich nehme mir jedes Mal vor, wenn ich einen neuen Roman beginne, dieses Mal schreibe ich zügig. Ich raffe. Und das gelingt mir nicht. Ich muss einfach, um glaubwürdig zu sein, eine Szene sich selbst entfalten lassen.

Irma Krauß’ große Stärke ist die Intuition. Intuitiv verwendet sie Zeichen, Bilder und Symbole, die ganz wesentlich sind für die Wirkung ihrer Bücher. Und intuitiv entwickelt sie auch ihre Figuren. Da wird vorweg kein Handlungsablauf geplant und kein Beziehungsmuster konstruiert.

O-Ton Krauß: Ich schlittere in eine Geschichte hinein und habe nur eine ganz vage Idee. Hier war es die Idee, mir das Phänomen Zeit vorzunehmen. Ich dachte, ich kann es am besten aufscheinen lassen an der Figur eines sehr alten Menschen ... Und diesen Menschen habe ich genauso kennen gelernt, wie ihn der Leser kennen lernt. Ich habe nichts von ihm gewusst, mir auch keinen Plan gemacht, und so, Schritt für Schritt, bin ich mit ihm bekannt geworden. Und das spürt der Leser, denke ich.

Es sind konservative Werte wie die Pflege von Bräuchen, die Liebe zur Natur und die Verantwortung der Generationen für einander, die Irma Krauß in ihren Büchern hoch hält. Doch sie tut das ohne erhobenen Zeigefinger, ohne Pathos und vor allem ohne jede Art von Tümelei. Sie erzählt vielmehr locker und lebendig, manchmal, in den Dialogen, auch s