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Das Wolkenzimmer
Die Jury von ZEIT und Radio BremenBesprechung von Konrad Heidkamp Ein achtzehnjähriges Mädchen und ein siebzigjähriger Mann. Ein steinerner Turm inmitten einer deutschen Kleinstadt. Mehr braucht es nicht für diesen dramatisch-poetischen Roman, für eine Geschichte aus der Gegenwart, eine Erinnerung an die Vergangenheit. Treppauf und treppab bewegen sich die Gefühle, während der Ort starr bleibt, mit seinen ausgetretenen Holzstufen, den Erkern, staubigen Nischen, Zwischengeschoßen, dem Zimmer des Türmers und dem hohen riesigen Dachstuhl. Zwei Geschichten erzählt Das Wolkenzimmer, und manchmal erscheinen sie wie eine: Veronika, ein Mädchen, das mit ihrem Freund Mattis auf dem Weg nach Italien war, steigt auf den Turm. Sie haben sich gestritten, es ist aus, sie will es zu Ende bringen und sich hinunterstürzen. Als der Türmer sie davon abhält, hat er nicht nur ein Leben gerettet, er hat sein eigenes aufs Spiel gesetzt. Wo er bisher in Einsamkeit und Ruhe lebte, muss er nun reagieren, muss antworten, eine zweite Tasse auf den Tisch stellen. Er will sie loswerden, sie sind beide mürrisch, er, der Amerikaner, Sonderling, der den Turm öffnet, schließt, Eintrittskarten verkauft und Toiletten putzt, sie, Abiturientin aus dem Norden, die darauf wartet, dass Mattis wiederkommt, sie in ihr früheres Leben zurückholt. Doch mitten in ihre unfreiwillige Zweisamkeit aus verlorener Liebe und gestörter Ruhe schiebt sich die Geschichte eines kleinen Jungen, der sich vor sechzig Jahren im Turm versteckt hatte, eines jüdischen Kindes, das dem Abtransport entkommen war. Jascha Rosen, dessen Eltern und Verwandte abgeholt wurden, trifft auf den Einarmigen, den damaligen Türmer, dessen beiden Jungen bei Smolensk gefallen sind, der den Judenjungen loswerden will, um sich nicht zu gefährden. Und doch schwankt er, in seinem Mitleid, im Zweifel am Sinn dieses Krieges, in der Trauer, der Angst. Er muss Jascha vor dem befreundeten Stadtpolizisten verstecken, vor seiner Frau verschweigen, vor den Spitzeln in Sicherheit bringen, vor seiner eigenen Wut, wenn er daran erinnert wird, dass seine Söhne tot sind und der Judenjunge lebt. Zwei Geschichten, zwei alte Männer, die ihre Gefühle kaum zeigen, heute wie gestern, die vor der kleinsten Berührung zurückzucken, die jede Geste eines Versprechens vermeiden wollen, das sie nicht einhalten können. Der Turm ist das Zuhause für Menschen auf der Flucht, vor anderen, vor sich selbst. Zwei Geschichten von jungen Menschen, von einem Judenjungen, der sein Leben retten, von einem Mädchen, das ihres nicht mehr will. Das könnte in der Konstruktion lehrhaft wirken und liest sich so leicht und selbstverständlich. Irma Krauß, Autorin ausgezeichneter Jugendromane, wechselt die Perspektiven als steige sie leichtfüßig den Turm auf und ab: von jetzt zu früher, von Junge zu Erwachsenem, vom Leben in der Zeit des Terrors zum Leben in Freiheit. Sie muss nicht urteilen, man muss etwas sehen, um es zu verstehen. Und langsam beginnt der Türmer zu erzählen, von Jascha, von der Geschichte einer jüdischen Familie in einer deutschen Kleinstadt, von der Wannseekonferenz, von Menschen wie Himmler, dessen Sätze sich in ihm eingebrannt haben, von den drei Jahren, in denen er den Krieg vom Turm aus erlebt, in denen er wartet. Der Turm hält die Welt fern und schärft zugleich den Blick. Es ist die Mischung aus äußerster Enge und größtmöglicher Weite, die diesen Roman so ungewöhnlich macht. Wer mag, kann daraus lernen wie man zum Leben steht und was man von ihm will, wer möchte, kann Das Wolkenzimmer als Lektion in Menschlichkeit lesen. In jedem Fall hat Irma Krauß für ihre sensible Sprache eine packende Geschichte gefunden. → zum Buch
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